13.08.2020 | Am 29. Juni 1930 wurde das NaturFreundehaus Üdersee mit einem feierlichen Festakt eingeweiht. Die NaturFreunde sammelten sich am Morgen am Bahnhof Finowfurt und zogen mit einem Festzug zum neuen NaturFreundehaus. Der damalige Reichstagspräsident Paul Löbe hielt eine der zentralen Reden.
Die Entstehungsgeschichte des NaturFreundehauses Üdersee liegt in den Schützengräben des ersten Weltkrieges. Im Sommer 1916 sprachen zwei Soldaten während einer Kampfpause mitten in der Schlacht an der Somme über den Krieg. Richard Bowitz, ein Berliner Sozialdemokrat und NaturFreund aus dem Wedding erzählt leidenschaftlich von seiner Ablehnung des Krieges und des Militarismus. Der andere, ein junger Bauer aus Steinfurth am Finowkanal hört ihm zu. Die beiden freunden sich an und unterhalten sich häufiger. Richard Bowitz erzählt von den Wanderungen der NaturFreunde in den märkischen Wäldern und erzählt, dass sie am Üdersee ein Gelände entdeckt hatten, auf dem man ungestört rasten konnte. Der Bauer bittet Richard Bowitz die Örtlichkeit noch einmal genau zu beschreiben und merkt, dann das dieses Gelände zum elterlichen Bauernhof gehört. Die beiden versprechen sich, wenn sie beide aus dem Kriege nach Hause kommen, auf dem Grundstück ein NaturFreunde-Gelände zu errichten.
Nach dem Krieg wird der Plan umgesetzt: 18 Morgen Land wechseln den Besitzer. Zunächst fehlen jedoch die benötigten 5000 Reichsmark. Hier beweist sich die Solidarität der Berliner NaturFreunde. Etwa 100 NaturFreund*innen bringen das notwendige Geld auf. So kommt die Berliner Ortsgruppe der NaturFreunde in den Besitz des Geländes am Üdersee. Anfangs steht eine kleine Hütte auf dem Gelände, doch bereits im Mai 1927 beginnen die Arbeiten für ein großes NaturFreundehaus. In tausenden von Arbeitsstunden werden die erforderlichen Bodenbewegungen ausgeführt. Schließlich kann am 28. Oktober 1928 der Grundstein zu einem schönen Haus gelegt werden, dass dann endlich mit einem feierlichen Festakt eingeweiht wird. Das NaturFreundehaus bot für die Arbeiter*innen den „Luxus“ von Zweibettzimmern.
Von Anfang an war das NaturFreundehaus Üdersee ein wichtiger Treffpunkt für die Berliner NaturFreund*innen. Gemeinsame Sonnenwendfeiern wurden mit der Dorfbevölkerung und mit den Arbeiter*innen aus den Fabriken rund um Eberswalde gefeiert. Große, auch politische Veranstaltungen wurden auf dem Gelände durchgeführt.
Kurz nach der Machtübertragung an die Faschisten wurde das Haus am 29. Juni 1933 beschlagnahmt. Mit einer Bekanntmachung im „Deutschen Reichsanzeiger und Preußischen Generalanzeiger“ vom 22. September 1933 wurde das gesamte Vereinsvermögen inklusive der Häuser beschlagnahmt. Die Nazis missbrauchten das NaturFreundehaus als „Erste Reichsschule des Arbeitsdienstes für die weibliche Jugend“.
Nach dem Ende des Faschismus an der Macht wurde im NaturFreundehaus Üdersee am 4. Oktober 1945 der erste Junglehrerkurs eröffnet. Er dauerte eine Woche und hatte 72 Teilnehmer*innen, darunter 40 Frauen. Der letzte Lehrgang fand im Juni 1947 statt. Insgesamt hatten 1230 Junglehrer*innen, Jugendliche und Kinder an den Veranstaltungen der „Jugendschule Üdersee“ teilgenommen. Später wurde das Haus als Erholungs- und Schulungsheim von der SED genutzt. Das Haus bekam einen eigenen Autobahnzugang und wurde vergrößert und modernisiert.
Nach 1989 begann der Einsatz der NaturFreunde um die Restitution der ehemaligen NaturFreundehäuser. Das Haus Üdersee war der Treuhand übertragen worden. Diese kam nicht auf die Idee, das Haus an die NaturFreunde zurückzugeben, sondern stellte es für unterschiedliche Zwecke zur Verfügung. Aus dem Erholungsobjekt „Karl Liebknecht“ wurden ein Hotel, dann ein Gästehaus und schließlich ein Schulungszentrum. Die Rechtsträgerschaft übernahm nach der SED die PDS, der DDR Ministerrat, dann eine Tagungs- und Hotel GmbH, die Humboldt Universität und schließlich eine aus Bonn stammende Arbeitsmarkt GmbH.
Erst im Jahr 1992 wurde durchgesetzt, dass das NaturFreundehaus Üdersee an die NaturFreunde zurückgegeben wurde. Die von den NaturFreunden vorgelegten Dokumente über die Besitzverhältnisse des von den Nazis 1933 enteigneten Gebäudes waren so eindeutig, dass die Abteilung Sondervermögen der Treuhandanstalt keine andere Regelung treffen konnte.
Heute wird das von der „Naturfreundehaus Üdersee gGmbH“ betrieben und ist ein Anschlusshaus der NaturFreunde.
Der Text ist eine Zusammenfassung einer Rede des Berliner NaturFreundes Bruno Klaus Lampasiak.
aus: WanderfreundIn 02-2020