25.11.2022 | Die NaturFreunde Berlin begrüßen die Wahl von Lula da Silva zum neuen Präsidenten in Brasilien. Mit der Wahl wurde für die Menschen in Brasilien die Chance für eine bessere soziale und ökologische Entwicklung eröffnet. Die Wahl ist eine der wichtigsten Wahlen in der Geschichte Brasiliens. Es geht um die Frage von Demokratie oder der weiteren autokratischen Herrschaft des Rechtsextremisten Bolsonaro.
Mit der Wahl in Brasilien besteht die Möglichkeit, dass die Außenpolitik Brasiliens wieder an die progressiven Bewegungen und Regierungen in Lateinamerika anknüpft und eine eigenständige Entwicklung der Region ermöglicht.
Die NaturFreunde hoffen, dass der neue Präsident wieder an die wichtige Einigung der Integration Südamerikas anknüpft und Celac (Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten) und die Zusammenarbeit der BRICS-Staaten (BRICS steht für die Anfangsbuchstaben der fünf zugehörigen Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) zu stärken. Es ist ein positives Zeichen, dass der neue Präsident einen faireren internationalen Handel erreichen möchte und hierfür die Zusammenarbeit mit den USA und der EU auf eine neue Grundlage stellen will. Die NaturFreunde unterstützen alle Bestrebungen, Brasilien nicht mehr als billigen Lieferanten von Rohstoffen und Fleisch zu missbrauchen und den Raubbau am Amazonas-Regenwald zu beenden.
Hierfür ist die Ankündigung des neuen Präsidenten, dass er „für eine neue Weltordnungspolitik kämpfen“ wird ausdrücklich zu begrüßen. Lula da Silva hat in seiner ersten Rede nach der Wahl angekündigt, dass er dafür eintreten werde, dass Brasilien „seine führende Rolle im Kampf gegen die Klimakrise wieder aufzunehmen und alle unsere Biosphären, insbesondere den Amazonas-Regenwald“ schützen wolle. Die NaturFreunde werden die neue Regierung an dieser Aussage messen. Mit der Forderung an die EU-Staaten und die Bundesregierung, das neoliberale Freihandelsabkommen EU-Mercosur zu beenden, wollen die NaturFreunde beitragen, eine ökologische und soziale Handelspolitik zu ermöglichen.
Brasilien ist politisch gespalten
Der neu gewählte Präsident wird es nicht leicht haben: Die Mehrheitsverhältnisse im brasilianischen Parlament werden für seine Regierungsarbeit schwierig sein. Das sehr knappe Wahlergebnis zeigt, wie politisch gespalten das Land ist. Weiterhin ist der Senat und das Parlament konservativ dominiert. Die rechte Partei Bolsonaros (PL) ist als stärkste Partei aus den Wahlen hervorgegangen. Sie hat 99 Sitze erhalten, während Lulas Bündnis »Hoffnung für Brasilien« (Partei der Arbeiter [PT], Kommunistische Partei und Grüne) 80 Sitze errang. Das linke Bündnis PSOL (Partei für Freiheit und Sozialismus) konnte weitere 14 Sitze gewinnen. Auch wurden in eine Reihe von Bundesstaaten Bolsonaro-Verbündete als Gouverneur*innen gewählt. Durch die Zusammensetzung des Parlaments und die rechten Regierungen in den Bundesstaaten wird eine fortschrittliche Politik sehr schwer oder nur mit vielen Kompromissen durchzusetzen sein.
Militante Anhänger*innen der Bolsonaro-Regierung sind in den letzten Monaten mit Gewalt und Angriffen gegen die Unterstützer*innen von Lula da Silva vorgegangen. Durch eine unverantwortliche Waffengesetzgebung hat die Regierung Bolsonaro dafür gesorgt, dass immer mehr Waffen in Brasilien im Umlauf sind. Seit Bolsonaros Wahlniederlage, die er bis zum heutigen Tag nicht eingestanden hat, blockieren seine Anhänger wichtige Verkehrswege und attackieren Lula-Anhänger*innen. Sie leugnen den Wahlsieg und sprechen von Wahlbetrug. In den sozialen Netzwerken ist zu sehen, dass sie Kasernen belagern und die Übernahme des Landes durch das Militär fordern. Es gibt Aufmärsche von Hunderten Bolsonaristas, bei denen der Hitlergruß, als Zeichen ihrer faschistischen Ideologie, gezeigt wird. Journalist*innen werden bedroht und in ihrer Arbeit behindert.
Armut und Hunger bekämpfen
In den nächsten Jahren wird es für den neuen Präsidenten darum gehen, die massive Armut und soziale Ausgrenzung von Millionen Brasilianer*innen zu bekämpfen und dem Land eine neue, sozial-ökologische Perspektive zu geben. Die PT hat in den letzten Jahren deutlich an Mobilisierungsfähigkeit verloren. Hier muss die Kritik vieler Aktivist*innen innerhalb der Partei aufgegriffen und diese wieder zum entscheidenden Akteur für die Bekämpfung von Armut und Hunger werden.
35 Millionen Menschen leben in Brasilien zwischenzeitlich von Einkommen aus dem informellen Sektor. Sie haben keine Absicherung und leben in extremer Armut. Sie versuchen mit kleinen Geschäften auf der Straße oder dem Angebot von Dienstleistungen zu überleben. Mehr als 116 Millionen Brasilianer*innen sind von Ernährungsunsicherheit betroffen, über 33 Millionen Menschen leider unter Hunger.
Gleichzeitig ist Brasilien von einer schweren Wirtschaftskrise und hoher Inflation betroffen. Lebensmittel und Waren des täglichen Bedarfs werden von Woche zu Woche teurer. Eine wichtige Aufgabe in den nächsten Jahren wird eine grundlegende Agrarreform sein, wie sie seit langem von der Landlosenbewegung MST eingefordert wird.
Der neue Präsident wird sehr schnell an seinen Erfolgen bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der Armut gemessen werden. Nur wenn es gelingt, den Hunger wirksam zu bekämpfen und den armen Menschen Perspektiven zu geben, wird der neue Präsident seine Regierung stabilisieren können. Im Parlament haben die rechten Kräfte schon Destruktion und Bekämpfung von sozialen Maßnahmen angekündigt. Die NaturFreunde werden die Entwicklung in Brasilien mit Solidarität begleiten.